Dr. Enrico Pigorsch
Projektleiter im Geschäftsbereich Materialprüfung & Analytik der Papiertechnischen Stiftung (PTS)
Wir wenden spektroskopische Messverfahren an. Diese sind prinzipiell zerstörungsfrei bzw. minimal invasiv. Gemessen wird an der Papieroberfläche. In speziellen Fällen, wenn es möglich ist, eine kleine Probe vom Papier zu entnehmen, führen wir mittels eines Raman-Mikroskops auch Messungen am Papierquerschnitt durch. Dies ermöglicht eine sehr detaillierte Analyse von Papierinhaltsstoffen bis in den Spurenbereich. In den letzten Jahren haben wir eine spezielle Analysenmethode zur genauen Altersbestimmung von Papier entwickelt. Die Methode ist anwendbar auf Papiere, die nach 1955 produziert wurden und beruht auf der Radiokohlenstoffdatierung (14C) der Stärke, die aus dem Papier extrahiert wurde. Dieses Verfahren wird auch in der Archäologie angewandt.
Grundsätzlich wird überprüft: Welche Art von Papier liegt vor? Ist ein Papier mit einer anderen Papierspur oder mit anderen Papierblättern eines mehrseitigen Dokuments identisch oder verschieden? Wie alt ist das Papier? Die Analyse der chemischen Zusammensetzung von Papier kann wichtige und entscheidende Informationen darüber geben, ob z.B. zwei Papierbögen aus identischem Papier stammen oder wie alt das Papier ist. Die Herstellungstechnologien von Papier haben sich im Laufe der Zeit geändert. Durch die Identifizierung einzelner Stoffe oder Papierzusammensetzungen lässt sich so der früheste Zeitpunkt bestimmen, zu dem ein Papier hergestellt worden sein kann.
Mit der Nahinfrarot(NIR)-Spektroskopie und insbesondere der Raman-Mikroskopie kann man die Verteilung von Papierinhaltsstoffen auf der Oberfläche und im Querschnitt visualisieren. Mit NIR-Messungen kann man sogar das ganze Papier durchstrahlen, so dass auch Partikel oder Strukturen im Papier und auf der Rückseite von aufgeklebten Papieren zerstörungsfrei sichtbar gemacht werden können.
Wir untersuchen z.B. Verträge oder Testamente. Dabei geht es zum einen um den möglichen Austausch von Papierblättern eines mehrseitigen Dokuments oder um die Bestimmung des Herstellungsjahres des Papiers und dem Vergleich mit der vorgeblichen Datierung. Einige Ergebnisse wurden bereits vor Gericht verwendet.
Am interessantesten sind Untersuchungen an Kunstwerken. Für die materialtechnischen Analysen von Gemälden und anderen Kunstobjekten gibt es sicher viele andere Speziallabore, wie das Rathgen-Institut in Berlin, das Doerner-Institut in München oder die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin. Wenn es aber speziell um die Untersuchung des Papiers von Kunstobjekten geht, sind wir an der PTS als die Papierexperten gefragt. So haben wir für Polizeibehörden und Privatpersonen u.a. Zeichnungen oder Aquarelle untersucht, die vorgeblich von Rembrandt bis van Gogh, Campendonk oder Liebermann stammten. Interessant waren auch Untersuchungen an Briefmarken.
Der vielleicht spektakulärste Fall waren die sogenannten ›Karl Waldmann‹-Collagen. Diese Papiercollagen tauchten 1989/90 auf einem Trödelmarkt in Berlin auf und wurden als Konvolut aus über 1000 Objekten von einem belgischen Galeristen erworben. Die Werke sind mit ›Karl Waldmann‹ oder ›KW‹ signiert und erinnern an verschiedene avantgardistische Kunstströmungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie Dadaismus und Suprematismus. Das Problem ist jedoch, dass ein Künstler mit diesem Namen und aus dieser Zeit nirgendwo nachweisbar ist. Trotzdem hat der belgische Galerist in Brüssel ein eigenes Museum für die Collagen eingerichtet und für Karl Waldmann eine Biographie aufgebaut, mit seinem vorgeblichen Tod 1958 in Russland. Als 2015 einige der Papiercollagen in einer Ausstellung im Kunsthaus Dresden gezeigt wurden, erstattete ein Kunstexperte Anzeige wegen Kunstfälschung. Die Sache ging damals durch alle Medien. Daraufhin wurde die PTS beauftragt, an drei der Werke materialtechnische Analysen vorzunehmen. Die von uns durchgeführten Untersuchungen erbrachten zwar keine eindeutigen Belege für die Authentizität oder eine Fälschung der Collagen. Mittels von NIR-Imaging Messungen konnten aber einige Quellen für die Bildmotive identifiziert werden.
Ein anschauliches Beispiel sind die von uns untersuchten sogenannten Witu-Briefmarken. Diese Briefmarken wurden vorgeblich 1889/90 in dem sehr kurzlebigen deutschen Schutzgebiet Deutsch-Witu-Land in Ostafrika ausgegeben. Die tatsächliche Herkunft und die Verwendung der Marken als Postwertzeichen ist seit ihrem Erscheinen 1892 auf dem Briefmarkenmarkt umstritten. Trotzdem sind die Witu-Marken auch heute noch sehr begehrt und werden mit 100 bis 300 € das Stück und mit 1000 bis 3000 € für Briefumschläge mit Marken gehandelt. Für einen Briefmarkensammler haben wir vor einiger Zeit mehrere Witu-Marken untersucht, mit dem eigentlichen Ziel, Hinweise zur zeitlichen und örtlichen Herkunft zu erhalten. Dabei wurden in dem Konvolut der zeitgenössischen Witu-Marken aus dem 19. Jahrhundert auch zahlreiche moderne Fälschungen von Marken und Briefumschlägen entdeckt. Diese Fälschungen konnten bereits durch einfache spektroskopische Messungen anhand der Papierzusammensetzung und der Identifizierung eines modernen Blaupigments in den Schreibtinten erkannt werden. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche weitere solcher Fälschungen im Umlauf sind. Der betreffende Briefmarkensammler und ich haben mit einer Publikation unserer Ergebnisse in der renommierten Briefmarkenzeitschrift The London Philatelist versucht, die anderen Sammler dafür zu sensibilisieren und die Möglichkeiten der Fälschungserkennung aufzuzeigen.
Bei der Untersuchung von Kunstwerken und auch Dokumenten geht es meist darum Widersprüche zwischen den verwendeten Materialien oder Stoffen und der vorgeblichen Datierung aufzudecken. Die bekanntesten und leicht detektierbaren zeitlichen Marker beim Papier sind sicher optische Aueller (siehe die Hitler-Tagebücher). Ein weiterer sehr auffälliger Inhaltsstoff ist Calciumcarbonat, der in Papieren vor 1980, also vor der allmählichen Einführung der neutralen Papierleimung, praktisch nicht vorkommen kann.
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