Industrie

Gemeinsam

Die Brücke muss kommen

Winfried Schaur (r.), Präsident von DIE PAPIERINDUSTRIE, und Francesco Grioli (l.), Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IGBCE, haben am 19. September bei einem parlamentarischen Frühstück in Berlin für einen Brückenstrompreis geworben und den anwesenden Abgeordneten und Ministerienvertretern den gemeinsamen Standpunkt erläutert. »PAPIER. KANN MEHR!« HAT BEIDE MITTE OKTOBER ZUM THEMA BEFRAGT:


Mal ganz direkt gefragt: Brauchen wir einen Brückenstrompreis?

Schaur: Deutschland treibt die Klimawende in großen Schritten voran und reduziert die Nutzung fossiler Energien. Die Brückenlösung mit Gaskraftwerken funktioniert seit dem Krieg nur noch bedingt und gleichzeitig haben wir Grundlastkapazitäten vom Netz genommen, auch Kernkraftwerke. Das hat zur Folge, dass die Energiepreise gegenwärtig zum Teil deutlich über dem Niveau anderer Industrienationen liegen und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet ist. Bis die erneuerbaren Energien bezahlbare und insbesondere sichere Energie liefern, muss es deshalb eine Sonderregelung geben, die uns diesen Zeitraum zu überbrücken hilft.
Grioli Die klimagerechte Transformation der energieintensiven Industrien ist die große Herausforderung dieses Jahrzehnts. Dieses Mega-Projekt lässt sich aber nur stemmen, wenn die entscheidenden Rahmenbedingungen dafür stimmen. Das ist mit Strompreisen, die ein Vielfaches über denen der Industrie in Frankreich, den USA oder China liegen, eben nicht der Fall. Wir stehen am Scheideweg zwischen Modernisierung der Standorte auf der einen und Schließung auf der anderen Seite. Deshalb ist es wichtig, jetzt schnell die Rahmenbedingungen für Investitionen über einen zeitlich befristeten Brückenstrompreis massiv zu verbessern und diese Unterstützung zu koppeln an konkrete Transformationsprojekte, Stand- ort- und Beschäftigungsgarantien. So wird aus einer Subvention eine Zukunftsinvestition.

Warum ist das für die Papierindustrie so bedeutsam?

Schaur: Die Papierindustrie ist trotz vielversprechender Innovationsansätze nach wie vor energieintensiv. Energieintensität ist eine typische Eigenschaft der Grundsto ndustrie. Der Kostenfaktor Energie macht sich daher bei uns stärker bemerkbar als bei anderen Branchen. Um die notwendigen Investitionen in die Klimaneutralität leisten zu können, benötigen wir für die Übergangsphase eine Entlastung.
Grioli: Die Branche kämpft seit Jahren mit einer Vielzahl struktureller Herausforderungen. Gleichzeitig hat sie große Zukunftspotenziale – denken wir nur an umweltfreundliche Verpackung und Online-Handel. Der Wandel zu neuen, beschäftigungssichernden Geschäftsmodellen muss jetzt im Vordergrund stehen, nicht Kapazitätsabbau. Dafür braucht es aber einen Staat, der diese Transformation unterstützt. Die Politik hat sich ja noch nicht entschieden. Kanzler und Finanzminister sind beim Thema Brückenstrompreis eher zögerlich, der Wirtschaftsminister ist dafür.

Welche Folgen hätte es, wenn der Brückenstrompreis nicht käme?

Schaur: Wenn Unternehmen am Standort Deutschland nicht mehr wirtschaftlich operieren können, wird mehr Produktion dort stattfinden, wo es günstiger ist. Zumindest würden künftige Investitionsentscheidungen gegen den Standort Deutschland fallen – mit allen Konsequenzen für Beschäftigung und Wertschöpfung.
Grioli: Wir müssen energieintensive Branchen wie die Papierindustrie in Deutschland halten. Sie stehen am Anfang nahezu aller industriellen Wertschöpfungsprozesse und sind Garanten unseres Wohlstands. Und damit meine ich nicht nur die tariflich abgesicherten Arbeitsplätze. Ihren Exodus können wir uns weder gesamtgesellschaftlich noch ökonomisch oder klimapolitisch leisten. Denn den Beweis, dass in anderen Ländern klimafreundlicher produziert werden würde, hat noch niemand erbracht.

Arbeitgeber und Gewerkschaften ziehen hier an einem Strang. Selten genug. Wie kommt das?

Grioli: Dass wir auf der einen Seite hart miteinander verhandeln, heißt ja nicht, dass wir bei Themen, bei denen wir gleiche Interessen verfolgen, keine Geschlossenheit zeigen dürfen. Im Gegenteil: Der Schulterschluss in der »Allianz pro Brückenstrompreis« ist ebenso richtig wie wichtig und außerdem ein sehr starkes Signal in Richtung Politik.
Schaur: Als »selten genug« würde ich das nicht bezeichnen. IGBCE und DIE PAPIERINDUSTRIE leben seit langem echte Sozialpartnerschaft. Das heißt nicht, dass wir bei allen Themen gleicher Meinung sind. Im Mittelpunkt stehen konstruktive Lösungsfindung und Weiterentwicklung im Sinne der Beschäftigten und Unternehmen. Dass man in so einer Situation noch weiter zusammenrückt und deutliche Signale an die Politik richtet, ist eigentlich selbstverständlich.

Kritiker fürchten, dass ein Brückenstrompreis zur Dauersubvention wird. Wie lange wird Ihrer Meinung nach der Weg zur Transformation dauern?

Schaur: Es geht hier nicht um eine Dauersubvention, sondern um eine vorübergehend notwendige Maßnahme. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen und das zu bezahlbaren Preisen. Mit einem klar definierten zeitlichen Ende der Brücke können Unternehmen planen und sich darauf einstellen.
Grioli: Diese Bundesregierung ist die erste seit langem, die nicht nur Ausbauziele ins Schaufenster stellt und ansonsten die Hände in den Schoß legt. Sie hat konkrete Strategien und Maßnahmenpakete vorgelegt, wie sie das 2030er Ziel erreichen will. Nehmen Sie beispielsweise die Vorgaben, was die Ausweisung von Flächen für die Windenergie angeht. Wir gehen also davon aus, dass sie es wirklich ernst meint mit ihren Zielen und 2030 wie versprochen genug günstiger klimaneutraler Strom zur Verfügung steht, um die »Brücke« hier auch enden zu lassen. Alles andere wäre Fatalismus und Schwarzmalerei.