Industrie

ERFORSCHT

Disruptive Veränderungen

Nach einem langen Planungsvorlauf und der nicht immer einfachen Einwerbung umfangreicher Fördergelder nimmt das Projekt der Modellfabrik Papier in Düren jetzt Fahrt auf. Das außergewöhnliche Gemeinschaftsforschungsprojekt, das 2026 aus seinen bisherigen Behelfsräumen in einen Neubau auf dem Gelände des neu entstehenden Innovationsquartiers am Dürener Bahnhof umziehen soll, hat jetzt seine Roadmap aufgestellt.


Ehrgeiziges Ziel ist es, Prozesse zu entwickeln, mit denen die Papierindustrie bis 2045 rund 80 Prozent an Energie einsparen kann. Dabei geht es nicht nur um disruptive Veränderungen im Produktionsprozess, sondern auch um maßgeschneiderte Rohstoffe. Derzeit wird das wissenschaftliche Team aufgebaut: Die ersten Forscher und Forscherinnen starteten im Oktober 2023. Innerhalb der kommenden zwei Jahre werden bis zu 17 und an den Partnerinstituten etwa 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt. Gearbeitet wird an drei eng miteinander verzahnten Forschungsschwerpunkten:

Massgeschneiderte Rohstoffe

Die Eigenschaften der eingesetzten Faserstoffe haben nachweislich Einfluss auf den Energieeinsatz. Die Forscher und Forscherinnen der Modellfabrik wollen die Eigenschaften der Rohstoffe Fasern und gegebenenfalls Zusatzstoffe so anpassen, dass Energieeinsparungen von bis zu 20 Prozent im Vergleich zu aktuellen Standards erreicht werden können. Zu diesem Zweck soll zum Beispiel das Wasserrückhaltevermögen von Faserstoffen so behandelt werden, dass sie einfacher entwässert werden können und weniger Wasser zur Vliesbildung benötigen. Erforscht werden soll, wie Faserstoffe modifiziert werden müssen, damit sie in einem Trockenlegeverfahren verfestigt werden können. Hierzu gibt es bereits Anlagen im Kleinmaßstab. Bis 2027 sollen die Experimente so weit Ergebnisse liefern, dass erste Anlagen und Prototypen auf größere Maschinen übertragen und mit den Industriepartnern der Modellfabrik in Folgeprojekten weiterentwickelt werden können.

Innovatives System in wässrigem Medium

In diesem Forschungsbereich geht es darum, die der- zeitige Produktion von Papier im wässrige    n Medium hinsichtlich des Energieverbrauchs zu optimieren, um eine deutlich höhere Primärenergieausbeute zu erzielen. Kurz gesagt: Es soll so wenig Wasser wie möglich verwendet werden. Untersucht werden dabei die bereits genannten Faserstoffeigenschaften, der Einsatz neuartiger und die Optimierung bestehender Verfahren zur mechanischen Entfernung von Wasser vor dem thermischen Trocknungsprozess, die Steigerung der Primärenergieeffzienz bei der Bahntrocknung und die Gestaltung eines sogenannten adiabatischen Prozesses, bei dem möglichst keine Energie aus dem System entweicht.

Veränderung der Flüssigkeiten im System

Geht es bei den ersten beiden Forschungsgebieten immer noch um Wasser, will man im dritten Forschungsbereich über den Einsatz von Wasser hinausgehen. Ein Weg ist das sogenannte Airlaid-Verfahren, das es zum Beispiel schon bei der Vliesstoffproduktion gibt. Dabei werden die Fasern mit Luft auf eine Fläche aufgeblasen und mittels Kalt- und Heißpressen zu einer Papierbahn verfestigt. Geforscht wird auch am Einsatz alternativer Fluide, etwa Methanol oder Aceton. In diesem Bereich wäre eine Gesamtenergieeinsparung von 15 Prozent denkbar. In dem letzten Forschungsgebiet werden die Forschungsergebnisse aus den drei Bereichen in den gesamten Papierherstellungsprozess integriert, energetisch bewertet und auf Kreislaufwirtschaft geprüft. Insgesamt sollen im Rahmen des Forschungsprogramms bis zu 14 Prototypen entwickelt werden. – gag

Hintergrund

Die Idee zur Gründung einer Modellfabrik Papier entstand 2018 bei einem Treffen von Unternehmen der Papierindustrie mit der Technischen Universität (TU) Darmstadt und der Papiertechnischen Stiftung (PTS). Im Dezember 2020 wurde die Modellfabrik als gemeinnützige Forschungsgesellschaft gegründet.

Heute sind 24 Unternehmen als Konsortialpartner beteiligt: Mit Essity, Felix Schoeller, Jass, Klingele, Koehler, Metsä, Mitsubishi, Model Group, Munksjö, Niederauer Mühle, Progroup, Sappi, Schoellershammer, Schönfelder, Varel, WEIG und WEPA sind praktisch alle Sortengruppen vertreten. Weitere Gesellschafter sind ABB, Bellmer, Voith, Omya, Andritz, OWA und BHS.

Zur Erarbeitung der Forschungsschwerpunkte wurde ein breitgefächertes Netzwerk aktiviert. Daran sind neben den Hochschulinstituten für Papierfabrikation in Darmstadt und Dresden das Institut für makromolekulare Chemie und Papierchemie aus Darmstadt, die Papiertechnische Stiftung, das Forschungszentrum (FZ) Jülich sowie die RWTH und die FH in Aachen beteiligt. Nach ersten Förderbescheiden von Bund und Land für zwei Teilprojekte über 6,4 Millionen Euro im Januar hat die »Modellfabrik Papier gGmbH« im August weitere 9,5 Millionen Euro aus der Landeskomponente der Strukturstärkungsmittel für das Rheinische Revier zugesagt bekommen. Damit wird der Aufbau der notwendigen Forschungsinfrastruktur wie etwa Laborausstattung, Testaggregate und Technologieträger gefördert. Insgesamt sollen am Standort Düren 43 Millionen Euro investiert werden. Außerdem hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung 10,5 Millionen Euro Fördermittel für das Forschungspersonal bewilligt.