Bis dahin hat der studierte Wirtschaftsingenieur, der über lange Jahre Projekt- und Führungserfahrung in der Papierveredlung und -verarbeitung verfügt, noch eine Menge zu tun: Vor allem öffentliche Fördermittel einzuwerben, mit denen das zukunftsträchtige Projekt zum Nukleus für die Papierproduktion der Zukunft werden soll. Einfach ist das nicht.
Große Namen
Angefangen hatte es 2018 mit einer Arbeitsgruppe aus Unternehmen der Papierindustrie, der TU Darmstadt und der PTS. Ende 2020 wurde die »Modellfabrik Papier gGmbH« als Trägergesellschaft mit 15 Gesellschaftern gegründet. Mittlerweile haben sich 17 namhafte Unternehmen aus der Papier- und Zulieferindustrie zusammengetan, um vorwettbewerbliche Grundlagenforschung zur Entwicklung disruptiver und skalierbarer Technologien« zu entwickeln, mit denen die Papierherstellung den harten Anforderungen an eine zukünftige Energie- und Klimapolitik gerecht werden soll.
Who´s Who der Branche
Die Liste der Gesellschafter liest sich wie ein Who’s Who der Branche. Mit Essity, Felix Schoeller, Jass, Koehler, Mitsubishi, Niederauer Mühle, Progroup, Sappi, Schoellershammer, Schönfelder, Varel, Weig und Wepa sind praktisch alle Sortengruppen vertreten. ABB, Bellmer, Omya und Voith runden das Technologie- und Zulieferspektrum ab. Sie alle haben sich verpflichtet, bis Ende 2026 das Projekt zu grundfinanzieren, das nach und nach mehr durch öffentliche Mittel getragen werden soll. Den Unternehmen sei bewusst, dass jemand anderes die Technologie der Zukunft entwickeln werde, wenn sie es nicht selbst täten, sagt Bekaert.
Standortfrage geklärt
Dass sich das Projekt in Düren ansiedeln würde, stand schnell fest. Düren ist traditionell Papiermacherstadt mit einer ganzen Reihe von Unternehmen der Papier- und Zulieferindustrie. Außerdem stehen im Rahmen des Strukturwandels im rheinischen Braunkohlerevier erhebliche öffentliche Fördermittel bereit, um neue Technologien in der Region anzusiedeln. Durch seine gute Verkehrsanbindung liegt Düren optimal zwischen dem Großraum Köln und dem Technologiestandort Aachen.
Zwei Phasen
Bis die Modellfabrik mit Hallen und Laboren sichtbar werden kann, wird es jedoch noch etwas dauern. Zunächst müssen in einem von der Modellfabrik gGmbH koordinierten Netzwerk Forschungsschwerpunkte einer CO2-neutralen Papierproduktion erarbeitet werden. Diese Forschungspläne sind auch wichtige Bausteine für die Einwerbung öffentlicher Fördergelder. Der Bau als physisches Reallabor – also als Fabrik zum Anfassen – folgt erst im zweiten Schritt. 2023 an dem angepeilten Interimsstandort in Düren, 2025 dann mit einem größeren, dauerhaften Neubau in der Nähe des Dürener Hauptbahnhofes.
Netzwerk
Zur Erarbeitung der Forschungsschwerpunkte wurde ein breitgefächertes Netzwerk aktiviert. Daran sind neben den Hochschulinstituten für Papierfabrikation in Darmstadt und Dresden die Papiertechnische Stiftung, das Forschungszentrum (FZ) Jülich sowie die RWTH und die FH in Aachen beteiligt. Die Pläne sind auch Grundlage für die recht komplexe Einwerbung der zur Verfügung stehenden Fördermittel bei Stadt, Land und Bund.
Wasser, Wärme, Digitalisierung
Das Forschungsprogramm macht deutlich, in welchen Bereichen die Modellfabrik Papier die Branche voranbringen soll: Wasser und Energie. Fernziel ist die wasserlose und CO2-freie Herstellung von Papier. Wie sieht das konkret aus? »Wir werden erforschen, wie wir Fasern verändern müssen, damit die Produktion mit weniger oder ganz ohne Wasser auskommen könnte«, sagt Bekaert. In der Theorie ist das möglich. Ein erster Schritt wäre es, das Entwässerungsverhalten der Papierbahn etwa durch Oberflächenauftrag von organischen Medien zu verbessern. Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld wird die Energieeinsparung sein. Geschlossene Systeme, aus denen keine Wärme ungenutzt verpufft, würden natürlich der CO2-Bilanz der Papierindustrie zugutekommen. Ganz oben auf der Tagesordnung steht auch das Thema Digitalisierung, mit der sich Prozesse wesentlich nachhaltiger gestalten lassen. Eingebettet werden alle Forschungsthemen in die Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie, mit Fokus auf die bereits hohe Recyclingquote der Papierindustrie. Das alles soll natürlich nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft bleiben, sondern schnellstmöglich als umsetzbare Technologie für die Industrie zur Verfügung stehen. Angst vor der gewaltigen Aufgabe hat Bekaert nicht: »Wir gestalten die Zukunft von Papier!«, sagt er selbstbewusst – und wenn man sein optimistisches Lächeln sieht, glaubt man ihm das sofort. – gag