Industrie

HERAUSGEFORDERT

Gasembargo - Europa im Dilemma

Der Ukraine-Krieg stellt Europa und vor allem Deutschland vor ein Dilemma. Finanzieren wir mit unseren Gasimporten die russische Kriegsmaschinerie? Sollten wir nicht besser ein Embargo verhängen und versuchen, die Folgen aus Solidarität zu tragen? Was moralisch geboten scheint, könnte in der Praxisschwerwiegendere Konsequenzen haben, als vordergründig denkbar ist. ein Gasembargo würde mehr dem Westen als dem Aggressor schaden. Bundeskanzler und Bundeswirtschaftsminister schließen es deshalb aus.


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Schäden schwersten Ausmaßes

Dass wir uns unabhängig machen und umsteuern müssen, ist keine Frage. Aber ein sofortiger Importstopp von Gas würde nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Schäden »schwersten Ausmaßes« hervorrufen. Dies könnte das Durchhalten von Sanktionen gegenüber Russland gefährden.

Manche Ökonomen halten ein Embargo jedoch für verkraftbar und vergleichen die wirtschaftlichen Folgen mit denen der Corona-Krise. Eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern um den in den USA lehrenden Rüdiger Bachmann und Andreas Peichl, Makroökonom vom Münchner Ifo-Institut, kommt in ihrer Studie »What if – The Economic E ects for Germany of a Stop of Energy Imports from Russia« zu dem Schluss, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland im schlimmsten Fall um drei Prozent einbrechen würde, wenn Deutschland von sich aus den Gashahn zudreht. Das sei verkraftbar.

Bis zu 4 Millionen Arbeitslose

Ganz anders sieht das Prof. Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Er warnt vor dem Zusammenbrechen von Lieferketten. Das würde in den Modellen der Embargo-Befürworter nicht berücksichtigt. Er hält als Folge eines sofortigen Embargos zweieinhalb bis vier Millionen Arbeitslose für nicht unrealistisch. Drastischer formulierte das Bundeskanzler Olaf Scholz. Hier hätten ein paar Wissenschaftler »irgendwelche mathematischen Modelle zusammengerechnet, die dann nicht funktionieren«, schimpfte er in einer Talk-Show. Diejenigen, die zur Vorsicht mahnen, halten einen sofortigen Gas-Stopp für nicht umsetzbar, sondern halten einen Vorlauf von zwei bis zweieinhalb Jahren für notwendig. So auch der Vorstand des Verbandes Zukunft Gas, Dr. Timm Kehler, der im Rahmen des Online-Talk-Formats Paper Briefing mit Spitzen der Papierindustrie über die Situation diskutierte. Er bezweifelte nicht die Notwendigkeit einer Abkehr vom russischen Gas. Derzeit sei es mit 31 Prozent jedoch der wichtigste Energieträger der Industrie – noch 2021 kamen 55 Prozent aus Russland. Aus seiner Sicht muss jetzt verstärkt nach anderen Lieferquellen gesucht und der Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft vorangetrieben werden. Dies benötige Zeit.

Nur 10 bis 15 Prozent ersetzbar

Für die Papierindustrie, die vor dem Hintergrund der Energiewende auf Erdgas als Brückentechnologie gesetzt hat, wäre eine sofortige Umstellung auf andere Energieträger kaum umsetzbar und würde zu Produktionsstopps auf breiter Front führen. Mittlerweile liegt der Erdgasanteil am Gesamtbrennstoffeinsatz bei 58 Prozent. Lediglich 10 bis 15 Prozent des Erdgasbezugs in der deutschen Papierindustrie (rund 3 TWh Erdgas) wären nach einer aktuellen Umfrage des Verbandes DIE PAPIERINDUSTRIE noch in diesem Jahr ersetzbar. In Bereichen, in denen eine Umstellung möglich ist, könnte etwa die Hälfte des Erdgases durch Heizöl und 30 Prozent durch Kohle ersetzt werden. Der Rest müsste durch eine strombasierte Dampferzeugung substituiert werden.

Folgen für alle Wertschöpfungsketten

Sollte Deutschland ein Importstopp für Gas verhängen, wären die Folgen in allen Wertschöpfungsketten zu spüren. Für die Güter, die noch verfügbar wären, gäbe es keine Verpackungen mehr. Eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten wäre ohne Papier und Karton kaum möglich. Die Hygiene in Kliniken und Arztpraxen stünde ohne Papier vor erheblichen Problemen. Auch der Druck von – in Krisenzeiten unverzichtbaren – Medien stünde zur Disposition. Mehrere Verbände der gesamten Wertschöpfungskette Papier haben sich deshalb unter Federführung von DIE PAPIERINDUSTRIE in einem Brief an den Bundeswirtschaftsminister gewandt und vor den Folgen eines Embargos gewarnt. Die Industrie wird die Umstellung der Energieversorgung mittragen und arbeitet mit Hochdruck an einer Lösung.Bis dahin muss mit Vorsicht agiert werden. – gag